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Schon die Beine rasiert ?

Aktualisiert: 20. Sept. 2023

Die Tuere knarrt am Huehnertor,

es scharrt und kratzt im Nesterdunkel,

ein scheuer Schnabel lugt hervor,

mit weisser Feder vorm Krakeel

wagt tier sich tritt fuer tritt anterior

Die Luft ist warm, beduftet die Natur

Voll Staunen blickt das Federvieh sich an und um

Kein Mensch, wo sind sie alle nur?

Mit stolzer Brust krakeelt der Hahn: "Covido ergo sum !

Der Mensch macht eine neue Kur".



Es gibt wunderschoene Dinge auf unserer Erde... dicke Hummeln, die in gelbem Bluetenstaub baden... geraeuschloses Blau am Mittagshimmel und orchestrale Baumkonzerte vor limonengruener Blattaudienz... schwebende Akrobaten lassen ihre Fluegel in der Sonne glitzern und warme Brisen streichen sanft ueber frisch rasierte Beine.

Es gibt von allem genug und es gibt viel Zeit...

Zeit, um sich zu sammeln und Gesammeltes zu entsorgen.

Zeit, um Zeit zu erleben und dem Erleben neue Worte zu geben. "Cocooning" ist eines solcher neuen Worte zB... Derzeit herrschen Zeiten, die uns auf essentielle Bestaende und Beduerfnisse zurueckwerfen, auf ein anderes, neues Miteinander und auf die gute alte Hoffnung. Hoffnung - Covido ergo sum!

Hoffnung, dass wir nun vielleicht etwas Gutes an Erde zurueckgeben koennen, indem sich alles entschlackt. Hoffnung, dass es besser wird, als es war. Dass wir aufbluehen in dieser bedrohlichen Krise und mit Staerke, Humor, Respekt und Liebe auf uns und den Rest der Welt schauen.

In erneuter Besinnung, dass keiner dem anderen gleicht und wir uns doch von unserer Gemeinsamkeit naehren.

Wir erleben alle an eigenem Leib, wie Weltgeschichte geschrieben wird, waehrend wir mit den Muecken, Voegeln und Hummeln im Garten sitzen nach erschoepfenden Diensten im Altenheim, oder in einem Appartment ohne Balkon festhaengen mit 5 Kindern, die Hausaufgaben machen am Bildschirm, oder Zeit hinter Gittern absitzen, weil man Polizisten anspuckte, die versuchen, social distancing zu erhalten, oder auf die ein oder andere Droge und den Dealer mal verzichten, weil die Angst vor dem Virus noch groesser ist als die Sucht, oder Strassen-Konzerte auf Balkons veranstalten, da Musik uns immer vereint, oder die heimische Naehmaschine fuer Massenproduktionen anwerfen, oder am Beatmungsgeraet haengen auf der Intensivstation...

Es gibt unendlich viele Varianten und Geschichten, wie jedeer Einzelne individuell dazu beitraegt oder die Weltgeschichte momentan erlebt, da es uns ALLE betrifft, ohne Ausnahme.


Wir stoehnen auf, wenn das Wort mit „C“ und der Nummer 19 zum hundersten Mal in Radio, Fernsehen und Web erscheint. Doch ich sitze auch im Garten und hoffe, dass diese neue Weltgeschichte irgendwann unterstreichen moege, dass unsere besten Qualitaeten gewonnen haben.



...

Wie einige von Euch wissen, gehoere ich zu den Frontlinern, wie Krankenschwestern und anderes Pflegepersonal weltweit genannt wird.


Vor drei Wochen brach bei uns im Altenheim die COVID-19 Krise aus. Es begann mit unserer juengsten Helferin, die ploetzlich auf der Arbeit 6 tonisch-klonische Krampfanfaelle bekam, dann im Krankenhaus nach dem 2. COVID-19 Test positiv testete und nach einer weiteren positiv testenden Mitarbeiterin, welche an heftiger Diarrhoe erkrankte, der Ausbruch bei uns offiziell bestaetigt wurde. Das Altenheim hatte zum Schutz zwar schon wochenlang vorher Besucherverbot eingerichtet, doch ein COVID findet seinen Weg.



Nach und nach erschuetterten Symptome von unterschiedlichster Art und Schwere unsere Bewohner und Mitarbeiter. Ich moechte unseren drei Todesfaellen eine Erwaehnung hier geben , um mich nocheinmal zu verbeugen.


Der erste Todesfall unter unseren Bewohnern, Theresa (*Name geaendert), war eine 93jaehrige ehemalige Krankenschwester, die mir sehr ans Herz gewachsen war in den letzten eineinhalb Jahren. Ihr sowieso schon sehr geschwaechter Koerper gab nach 4 Tagen immensen Leidens mit multiplem Organversagen auf, und wir waren die Einzigen, die ihr auf ihrem letzten Weg Begleiter sein durften, wie es fuer alle gilt, die in dieser Zeit vom Tod erfasst werden; wir bahren sie auf, sargen sie ein und verabschieden ihre hochinfektioesen, doppelt verpackten sterblichen Ueberreste auf dem Parkplatz des Altenheims, um sie dann gemeinsam in den Wagen des Bestatters zu schieben. Das sind die Vorschriften.

Die offiziell getestete Zahl der Bewohner stieg rapide auf 11 (auch wenn wir davon ausgehen, dass wir alle es haben) und 70% der Bediensteten.


Geraldine (* Name geaendert), eine 66jaehrige Frau ohne jegliche Lebensqualitaet, mit heftigem Uebergewicht, schwerer COPD und einem Ehemann, der sie gerade am Verlassen war, zitterte jeden Tag vor Todesangst, sich mit dem Virus anzustecken und erforderte intensivsten Zuspruch, Tag und Nacht. Sie schlief sitzend auf einem Stuhl nacht fuer nacht, einerseits wegen ihrer Atemlosigkeit trotz Sauerstoffzufuhr und andererseits, weil sie fest daran glaubte, im Bett wuerde sie sterben.

Am Abend vor ihrem Tod sagte ich ihr, dass ich ihr helfen werde, ein paar Stunden im Bett zu schlafen, um ihren panisch angespannten Koerper ausruhen zu lassen und versprach ihr, was ich nicht wirklich versprechen konnte: Dass ich ganz besonders auf sie aufpassen und die Nacht ueber bei ihr sitzen wuerde und wir sie niemals in ihrem Bett sterben lassen wuerden! Daraufhin schaute sie mich mit flehend angstvollen Augen an und sagte erschoepft meinem Angebot zu. In der kommende Nacht wollte sie meinem Vorschlag nachkommen.

Niemand weiss, ob es die Angst letztendlich war, die ihr das Leben nahm, da sie COVID negativ blieb bis zum Schluss. Sie starb nicht in ihrem Bett. Sie starb einen Tag nach meinem Versprechen im Krankenhaus an einer massiven Sepsis, nachdem wir sie per Notfall-Ambulanz einweisen mussten.

Dahlia*, Name geaendert, 87, unsere allseits geliebte, an charmanter Demenz leidende, kleine Supermutter verliess diese Erde als letzte der drei Todesfaelle, die wir verzeichnen mussten in so kurzer Zeit. Dadurch, dass sie ihren Ehemann schon als junge Frau verloren hatte, zog sie ihre 15 Kinder alleine gross, waehrend sie „nebenbei“ drei Jobs bewaeltigte fuer ein sehr kleines Einkommen. Winters wie Sommers war diese kleine drahtige Frau zu Fuss zur Arbeit und zurueckgelaufen und hatte grossen Respekt in der kommunalen Gemeinschaft geerntet, wie liebevoll und freundlich sie trotzallem ihr schwieriges Leben meisterte. Ihre Kinder wurden alle grossartige Menschen und haben ihre Mutter keinen Tag ihres Lebens im Stich gelassen; bis zu dem Tag, an dem COVID es ihnen verbot.

Als ihre Familie nicht mehr zu Besuch kommen durfte, wurde Dahlia depressiv, und wir konnten diese engen Familien-Bande nicht wirklich ersetzen, obwohl wir alles gaben, was uns moeglich war. Sie starb an einer massiven „covidischen“ Lungenentzuendung, doch eigentlich an einem gebrochenen Herz.






4 kleine Schwesterlein...

Es gibt 4 Krankenschwestern und eine Direktorin, die unser privatisiertes Altenheim leiten. Von diesen 4 fielen 2 vor 3 Wochen aus.

Da waren es nur noch zwei. Zwei kleine Schwesterlein kaempften sich so durch, da fiel die dritte auch noch um, da war es nur noch eins. Ein kleines Schwesterlein kaempfte mit aller Kraft, es war ganz gelb und auch mal gruen, doch blieb es ganz standhaft.


Nach der ersten Woche im Ausbruchschaos gab es nur noch eine Handvoll Pflegehelfer, meine Direktorin und ich. Alle wesentlichen Strukturen der taeglichen Pflege und des Routine-Ablaufs waren sowieso schon vom Winde verweht und ab diesem Zeitpunkt ging es nur noch um reine Ueberlebensstrategien.

Seit dem Tag X sind wir nun eingehuellte und maskierte Minions, die schwitzend, ueberfordert und doch immer wieder energiegeladen alles Unwesentliche ignorieren und in einer neuen, liebevollen Herde von fluffigen Arbeiter-Hummeln existieren.

Einer fuer alle und alle fuer Einen.

Wir wurden gleich, wenn auch wir nicht immer Gleiches tun. Es entstand ein voellig neues Arbeitsklima, das alle wesentlichen und wichtigen Qualitaeten unterstreicht, die es vorher nur noch im Bruchzustand oder nie gab:

Vertrauen, Anerkennung, Lob, Miteinander arbeiten, Interesse zeigen fuer alle, Fuer den anderen wirklich da sein, Gut fuer sich selbst sorgen, Umstaende akzeptieren und verstehen lernen, Offenheit und Ehrlichkeit, Respekt, Herzlichkeit, Fantastische Kommunikation, Verstaendnis, gute Fuehrung und achtsames Folgen, Erwachsen sein und erwachsen miteinander umgehen, Lachen, Neue Wege miteinander ausprobieren und ueber Erfolg und Misserfolg supervisieren.

Von den Besitzern des Hauses gab es nur minimale Unterstuetzung und vorallem am Anfang die Aussage:“ WIE KONNTE DAS NUR PASSIEREN!“


Ja, wie konnte das nur passieren... und dann gleich in 122 weiteren Altenheimen. Da hat sich wohl jemand nicht die Haende gewaschen und danach eine Zeitung angefasst....!

Sie versorgen uns natuerlich mit PPE (Personal Protective Equipment), was ein wesentlicher Punkt ist, aber sie schicken auch taegliche Angriffe in Text und Video ueber Dinge, die zu diesem Zeitpunkt schon am Ziel vorbeischiessen. Material, was droht, zur Neige zu gehen, wird nun sofort ersetzt, nicht anstatt wie vor der Krise mit dem Geld-Zeigefinger zu drohen und uns den Hahn abzudrehen. Sie wollen ja sparen. Und Gewinn machen. Aber nicht fuer uns oder die Bewohner, deren Heim es ist.

Zu Ostern schickten sie jedoch dann Ostereierpakete fuer uns und die Bewohner. Sie wirken ein bisschen schizophren. Oder sieht so der gemeine Hr. und Fr. Unnuetz tatsaechlich aus ?

Die HSE (Health Service Executive) hatte keine Krankenschwestern oder Helfer von aussen, die uns unterstuetzen konnten, da alle Freiwilligen schon landesweit eingesetzt waren. Die Nurses Agency schickte fuer eine Nacht, zusaetzlich zu meinem Dienst, um mich zu unterstuetzen, einen nutzlosen 65 jaehrigen arroganten Pfleger, der nicht laufen konnte, COVID-scheu war und staendig einschlief, aber dafuer 42 Euro pro Stunde abkassierte. Da er nur eine Nacht zu uns kam, konnte ich ihn auch nicht einweisen, damit er mir Arbeit abnahm. Anstatt sich anzubieten und mich zu entlasten, sass er auf seinem fetten Hintern und kaute mit Genuss sein Kaesebrot, waerend er gemuetlich sein smartphone durchzappte. Ich hatte dreimal so viel Arbeit durch ihn in dieser Nacht.

Nachts brauchen wir keine zusaetzliche Hilfe, wir sind immer zu dritt, eine Schwester und zwei Helfer, wir brauchten jemanden, der mir und der Direktorin fuer einen Tag eine Auszeit gab, damit wir nicht verrueckt werden.

Als wir dann auf dem letzten Loch pfiffen und dem Burnout schon die Hand schuettelten, erhofften wir von Hr. und Fr. Unnuetztotaldoof, dass sie endlich einsahen, wie dringend es war, dass sie uns aushalfen. Doch Fr. Unnuetztotaldoofhocharrogant, welche selbst Krankenschwester ist und eigentlich die Pflicht hat, sich in diesem Notfall anzubieten, lehnte konsequent ab, fuer ein paar Dienste einzuspringen. Sie blas sich damit auf, dass sie weiterhin am Telefon bleiben muesse, da sie sonst angeblich alle weiteren in ihrem Besitz seienden Alten-und Pflegeheime mit einem Einsatz bei uns in Gefahr braechte. Dass sie uns damit in die groesste Not und Gefahr brachte, waere ich oder die Direktorin auch noch ausgefallen, nahm sie als unwichtige Wahrscheinlichkeit in Kauf.


Sie hatte im Gegenzug dazu einen fantastischen Vorschlag: Um die Arbeit fuer uns zu erleichtern, schlug sie vor, die taegliche Medikamentengabe den ungelernten Helfern zu uebertragen...

WIE BITTE ?

Im Klartext: Sie schlug vor, einer ungelernten Kraft den Schluessel in die Hand zu druecken, um frei hand alle Medikamente inklusive Kontroll-Medikamente wie Narkotika, End-of-Life Morphin, evtl auch noch Spritzen geben und warum nicht gleich subkutane Infusionen legen, und den ganzen unwichtigen Kram, den eine Krankenschwester so macht... das kann doch jeder, ... ohne Vorkenntnis ueber Medizin, Risiko, Art der Gabe und Folgen.

Mit dem kleinen Zusatz, dass die Direktorin und ich in diesem Moment unsere Zulassung fuer immer verloren haetten, haetten wir uns jemals auf so etwas Bescheuertes eingelassen...

Und haette das geholfen ?


NATUERLICH NICHT !

Aber...

Wir wurden stark! Wir waren besser als das! Wir haben es geschafft, Haus und Menschen zusammengehalten, haben Humor und Waerme verschuettet, wo es sonst eher Traenen und Wut gegeben haette, wenn auch die Direktorin die schlimmsten Flueche ausstiess in dieser Zeit, die ihr nur einfielen.

Das ist auch wichtig und musste mal raus 😊

Unser Schweiss zahlte sich aus und ich bin stolz darauf, sagen zu koennen, Fuck You, we made it. Alle anderen Patienten sind derzeit stabil und werden mit groesster Wahrscheinlichkeit ueberleben, auch dank unserer neuen Organistion, guten Pflege und des grossartigen Teamgeistes.

Wir entwickelten eine gemeinsame Seele und Verantwortung und es wurde schnell klar, dass es in diesem besonderen Fall und im Generellen wirklich nur zusammen geht.


Natuerlich sind wir keinesfalls ueber dem Berg. Aber 80% der Besatzung ist wieder zurueckgekehrt, in eine hoffentlich fuer immer zum Guten veraenderte Altenheim-Welt und die Dienste werden langsam wieder ausgewogenere 12 Stunden-Schichten, alles besser, als das was es in den letzten drei Wochen gab.

Wir haben neue Gesichter kennengelernt, inklusive unserer eigenen.

Wir wissen nun, was passieren kann, sollte eine neue Welle kommen, die COVID-19 mit Begeisterung reitet. Wir wissen aber auch, dass keine Krise einer anderen gleicht und es vielleicht voellig anders kommt, im schlimmsten Fall schlimmer. Wir hoffen, nicht.

Darauf nun besser vorbereitet zu sein, von der Erfahrung zu lernen, den Geschmack ein wenig zu testen und die Akzeptanz fuer das Ungewisse zu haben, hilft, um Reserven und Talente zu mobilisieren, die an einem normalen, ruhigen Sommertag mit Muecken, Voegeln und gackernden Huehnern vielleicht lieber im Liegstuhl bleibt.

Mir geht es gut. Ich habe keine Symptome. Ob ich COVID-19 in mir habe, weiss ich erst, wenn man mir mal einen Teststreifen in den Hals schiebt. Doch ich habe COVID-19 gesehen. Auch er/ES hat viele Gesichter. ES hat keine Seele und keine besonderen Prioritaeten. ES braucht einfach nur gute Bedingungen und ein bisschen organisches Zell-Material von einem passenden Besitzer, um sich an ihn/sie zu binden. ES moechte sich binden, in ganz grossartigem Stil. Und wirft sein Straeusschen schon zum Naechsten, waerend ES Dich kuesst. ...

...


Stay safe and well!

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